Anna Truntsching bezeichnet sich selbst als „radikale Quereinsteigerin“. Mit 19 Jahren lief sie zum ersten Mal ein paar Kilometer, mehr oder weniger erfolgreich. Von da an war der Sport ihr täglicher Begleiter. Während des Studiums wurde ihr von befreundeten Kletterern die Welt des Bergsportes gezeigt. Ab diesen Zeitpunkt wurde ihr bewusst, dass diese Begeisterung fortwährend ist.
Anna Truntschnig ist eine Kletterin und Bergsteigerin aus Tirol. Sie ist in Kärnten an der Grenze zu Slowenien und Italien aufgewachsen. In den letzten Jahren arbeitet sie als Sozialpädagogin. Besonders liebt sie die Abwechslung im Sport, da die Bewegung viele Facetten haben kann. Am Ende des Tages ist das wichtigste, dass einem das ganze Freude bereiten soll.
„Ich durfte durch einen Unfall lernen und spüren, wie wichtig es ist, jeden Tag auszukosten und zu 100% zu leben. Das sagt sich ja oftmals leichter, als es umgesetzt wird, aber ich denke, mir gelingt das inzwischen sehr gut. Ich schiebe nichts auf, von dem ich träume, sondern versuche Wünsche schnellstmöglich in die Realität umzusetzen und lebe im Hier und Jetzt.“
FAKTEN & DATEN
Anna Trutschnig,
Wie kamst Du zum Bergsport und warum hast Du Dich genau für ihn entschieden?
Während meines Masterstudiums für Gesundheitsökonomie, welches mich nach Rotterdam und Bologna verschlagen hat, durfte ich drei Italiener kennen lernen, die mir eine – mir bis dahin – völlig unbekannte Welt (den Bergsport) zeigten: Berge, Natur, Klettern, Freiheit. Nach meinem ersten Wochenende in den Dolomiten mit meinen italienischen Kletterspezl‘n wurde mir bewusst, dass diese Begeisterung fortwährend ist.
Hast du ein Vorbild?
Vorbilder habe und hatte ich nie wirklich, da ich nicht dem Weg einer anderen Person folgen oder diesen Weg kopieren, sondern lieber meinen eigenen Weg gehen möchte. Es gibt allerdings Personen, die mich stark inspiriert haben und inspirieren. Gerlinde Kaltenbrunner ist die erste Person, an die ich bei dieser Frage denke. Bereits als Jugendliche war ich sehr fasziniert, als ich von ihren frühen Bergabenteuern mit dem Pfarrer in ihrem Dorf gelesen habe, oder als ich gehört habe, dass sie mit dem Fahrrad sehr, sehr früh zur Arbeit im Krankenhaus geradelt ist, um bereits vor Dienstbeginn einige Kilometer auf dem Rad absolvieren zu können. Ich war beeindruckt und es hat mich inspiriert, dass nichts unmöglich ist, wenn man es sich wirklich wünscht.
Als ich noch sehr jung und unerfahren war, habe ich davon geträumt, eines Tages auf den Großglockner zu gehen - für mich war das damals ein weitentfernter Traum und eine große Herausforderung. Als ich zu diesem Zeitpunkt nach Valencia, Spanien, ging, um ein Auslandssemester zu absolvieren, hatte ich plötzlich wenig Möglichkeiten, mich für meinen geheimen kleinen Traum vorzubereiten. Also bin ich einfach jeden Tag, vor Beginn der Universität, 20-30 Mal ins 9. Stockwerk unseres Wohngebäudes gelaufen. Auf und ab, und auf und ab. Tag für Tag. Ich habe dabei sehr oft an Gerlindes Radtouren zur Arbeit, und ihren Enthusiasmus und Willen gedacht. Das habe ich ihr bis heute nie erzählt, also wird sie vermutlich schmunzeln, wenn sie das liest… Jedenfalls hat es mich umso mehr gefreut Gerlinde Jahre später persönlich kennen zu lernen. Ihre Persönlichkeit und ihr Zugang zum Leben und den Bergen begeistern und inspirieren mich nach wie vor.
Wie hat der Sport Dein Leben verändert?
Sehr, sehr, sehr. Ich würde mich ja als radikal-Quereinsteigerin bezeichnen, da ich von 0-Sport zu täglich-Sport gewechselt habe. Ich kann mich erinnern, als ich mit 19 Jahren zum ersten Mal ein paar Kilometer laufen wollte und mich bei Kilometer 5 tatsächlich übergeben musste…da war mir klar: ab jetzt wird’s anders.
Gesagt, getan. Dass ich zusätzlich zum Sport noch etwas für mich entdecken durfte (Alpinimus), was mich SO sehr begeistert, hätte ich nie gedacht. Seither kann ich mir ein Leben ohne Bewegung in der Natur nicht mehr vorstellen. Bewegung kann viele Facetten haben und nicht nur Klettern bedeuten. Ich liebe die Abwechslung und kann mich für vieles begeistern, wenn auch Alpinismus nach wie vor meine größte Begeisterung weckt.
Hast Du einen Tipp für Menschen, die mit dem Bergsport anfangen möchten?
Ja. Vergleicht euch nicht mit anderen. Bleibt begeistert. Und vergesst niemals, dass euch all das am Ende des Tages einzig und allein eines bereiten sollte: Freude.
Wie überwindet man beim Training seinen inneren Schweinehund?
Schwer zu sagen, da ich meinen inneren Schweinehund eher fürs Nix-Tun als fürs Sporteln überwinden muss. Vielleicht indem man nicht das große Ganze sieht (z.B. nicht die 21 km beim Halbmarathon), sondern das Ziel in kleine Zwischenschritte aufteilt (z.B. sich nur den nächsten Kilometer konzentriert).
Wie bereitest Du Dich auf Deine Touren vor? Gibt es ein spezielles Ritual?
Vorbereitung ist je nach Tour immer anders. Ist der Rucksack mal gepackt, ist das „Nervigste“ geschafft.
Mein einziges „Ritual“ vor größeren Touren ist meiner Schwester Bescheid zu geben, wo wir ungefähr sind und wann wir wieder zurückkommen. Das ist eigentlich das Einzige, was ich immer sofort mache, sobald ich wieder gut beim Auto angekommen bin: mich bei meiner Schwester melden. Dafür lass ich sogar das TAB (Tourenabschluss-Bier) 5 Minuten warten.
Was hast Du immer bei Deinen Expeditionen oder Touren dabei? Worauf könntest Du nie verzichten? Vielleicht etwas ganz Ungewöhnliches?
Auf Expeditionen habe ich gerne meinen alten MP3 Player mit meinen wichtigsten Liedern dabei. Einige sind für die Vorbereitung auf die Tour, und andere versüßen mir den Rückweg, sollte dieser wiiiiiirklich lang sein… Es ist schon immer wieder magisch, wie die Wege zu einer Tour so viel kürzer sein können, als die Wege zurück 😉
Bei Tagestouren und Expeditionen habe ich unglaublich gerne saure Zungen dabei. Das sind saure „Gummibären“, die es nur in Frankreich zu kaufen gibt. Bei jedem Frankreichtrip decke ich mich mit einem riesengroßen Vorrat ein und inzwischen versorgen mich Gott sei Dank auch schon meine Freunde, wenn sie aus Frankreich heimkehren. Mit sauren Zungen im Gepäck ist kein Weg zu weit!
Was machst Du als erstes, wenn Du an einem Ziel angekommen bist?
Mich freuen!
Was war Deine schönste Tour? Und warum?
Der Walkerpfeiler an der Grand Jorasse mit meinem „langjährigsten“ Kletterfreund Claudio aus Bologna, Italien. Für uns beide war das eine besondere Tour. Claudio hat mir damals all die schönen Facetten des Alpinismus gezeigt und ich durfte extrem viel von ihm lernen. Als wir uns kennen lernten, habe ich gerade erst zu Klettern begonnen und ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als wir in Marokko waren, er mir einen „Friend“ (mobiles Sicherungsmittel) in die Hand gegeben hat, und auf Italienisch sagte: „So öffnest du einen Friend. So platzierst du ihn am Felsen. Und hier ist deine Linie (nach oben zeigend). Auf geht’s Anna, du kannst das, ich weiß das!“. Und so kletterte ich los und durfte lernen, was Trad-Klettern bedeutet.
Nur drei Jahre später kletterten Claudio und ich gemeinsam den Walkerpfeiler an der Grand Jorasse - in Wechselführung, in einem Tag, als Team, das sich blind versteht.
Als wir gemeinsam am Gipfel standen, waren wir beide unglaublich stolz und überglücklich in all den Jahren gemeinsam so viel erlebt und gelernt zu haben, und nun als Team diese Tour geklettert zu haben.
Was waren deine größten sportlichen Erfolge?
Da ich nie an Wettkämpfen teilgenommen habe oder Leistungssport betrieben habe, ist das eine schwierige Frage für mich. Als Erstes fällt mir eine Drytooling-Kletterroute ein, die ich unbedingt für jemanden, der verstorben ist, Rotpunkt klettern wollte und schlussendlich glücklicherweise auch konnte. Als Zweites würde mir unsere Expedition und unsere Erstbegehungen mit dem NF Alpinkader in Kirgistan einfallen.
Welchen Ort sollte jeder Mensch einmal gesehen haben?
Elmo – ein Biwakplatz in der Ragni Route am Cerro Torre. Der schönste Ort, den ich je in meinem Leben gesehen habe.
Wie sieht Dein perfekter Tag aus?
Menschen, die ich von Herzen gerne mag, Sonne und eine gemeinsame Tour, die uns alle begeistert.
Was bedeutet Glück für Dich?
Glück bedeutet für mich, dass es den Menschen gut geht, die ich liebe; und mir mein Körper und mein Geist die Freiheit schenken, das zu tun, was mich bis über beide Ohren strahlen lässt.
Wofür bist Du besonders dankbar?
Definitiv mein Freundeskreis und meine Familie. Definitiv.
Zweitrangig bin ich dankbar, dass mir mein Körper so viel verziehen hat, bisher.
Inwiefern genießt Du das Leben vielleicht mehr als andere?
Ich durfte durch einen Unfall lernen und spüren, wie wichtig es ist, jeden Tag auszukosten und zu 100% zu leben. Das sagt sich ja oftmals leichter, als es umgesetzt wird, aber ich denke, mir gelingt das inzwischen sehr gut. Ich schiebe nichts auf, von dem ich träume, sondern versuche Wünsche schnellstmöglich in die Realität umzusetzen und lebe im Hier und Jetzt.
Was ist Deine wichtigste Lebensweisheit?
Der Berg kann dir viel geben, aber auch alles nehmen – ein Spruch von Robert, meinem ehemaligen Freund. Er hat mir das immer wieder gesagt und ich habe zwar verstanden was er mir damit sagen möchte, aber seit 2 Jahren kann ich fühlen, was er meinte. Seitdem wurde sein Satz zu einem meiner wichtigsten Lebensweisheiten.
Welchen Hobbys gehst du sonst noch nach, außer dem Bergsport?
Ich habe eine Zeit lang Gesangsunterricht genommen, tanze gerne, bin aber auch gerne mal kreativ am Weg und baue mir Möbel aus Holz – wie so oft, die Abwechslung zählt.
Was bedeutet Outdoor für dich?
Freiheit! Naturgeräusche! Sich aufs Wesentliche minimieren! Viel Bewegung! Viel gute Luft! Und den besten Schlaf gibt’s noch immer unter freiem Himmel.
Welche Tagestour kannst du empfehlen? Und warum?
Den Ostgrat auf den Mittagskogel in Kärnten. Mein Opa hat damals geholfen, das Gipfelkreuz hochzutragen und hat diesen leichten Klettergrat unendlich oft absolviert. Jedes Mal wenn ich in Kärnten, meine Eltern besuche, versuche ich, auf den Mittagskogel zu gehen, um den Blick auf den tiefblauen Faakersee zu genießen und meinem Opa Grüße nach oben zu schicken.
Was ist dein Lieblingsschuh von LOWA?
AMPLUX Ws – einmal angezogen, nie mehr ausziehen wollen. Zum Laufen, für den Alltag, für Zustiege… der Schuh wurde zu meinem Allrounder.
Drei Dinge, die jeder Wanderer/Alpinist im Rucksack haben sollte:
Wasser. Daunenjacke. Erste Hilfe.